Die Kraft des Bären – Meditation im Bärlauchfeld

11. April 2018.TinePe.1 Like.0 Comments

Die Kraft des Bären
Meditation im Bärlauchfeld

Ostermontag, morgens um 10.

Ich mache mich auf, um Bärlauch zu sammeln. Mein ältester Sohn und meine Schwiegertochter sind noch zu Besuch. Heute werden sie wieder abreisen und eine kraftvolle Bärlauchsuppe möchte ich ihnen zum Abschied mit auf den Weg geben.

Wo ich heute den Bärlauch sammeln werde, das weiß ich ganz genau. Zu einem besonderen Ort werde ich gehen. Einem heiligen und heilenden Ort. Hierher komme ich schon seit Jahren, und das nicht nur zur Bärlauchzeit.

Der Wald ist erfüllt von morgendlicher Frische und vom heiteren Gesang der Vögel. Lebenskraft pur. Was für ein Empfang!
Irgendwo in der Ferne höre ich das Klopfen eines Spechtes. Einzig die Buschwindröschen scheinen noch etwas verschlafen zu sein. 

Dafür sind die efeubekleideten Bäume putzmunter und machen ihre Faxen. Bringen sich in Pose, laden ein zur großen Fotoshow. Treiben ihren Schabernack und haben so richtig Spaß …..

….. und dann liegt es vor mir. Das Bärlauchfeld, das mich schon seit Jahren in seinen Bann zieht. Wie immer, lässt es mich augenblicklich achtsam werden. Mit behutsamen Schritten gehe ich hinein, rufe an um seinen Segen.

Heilige und heilende Stille breitet sich aus. Bärlauchduft steigt mir in die Nase. Der Gesang der Vögel wird leiser, tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Ruhe kehrt ein. Am Ort und in mir. Ich bin angekommen. Tauche ab, lasse mir erzählen, lasse mich führen …..

….. wo darf ich pflücken? Und wieviel?

Jedes einzelne Blatt, das ich pflücken werde, wird erst einmal umgedreht, erspürt und erfühlt. Das erste, was ich wahrnehme, ist die Weichheit, die dem Bärlauch inne ist und von einer großen Liebe erzählt …..

….. dabei fällt mein Blick auf welke Baumblätter und vermodernde Äste. Sie sprechen mich an, erzählen vom Alten und von der Vergänglichkeit.
Ich spüre, dass sie etwas Wehmut in meinem Herzen auslösen, ungeweinte Tränen und unausgesprochene Ängste berühren …..

….. doch dann übernimmt der Bärlauch selbst die Bühne. Ein großer Akteur ist er. Erzählt von der Notwendigkeit und von der Leichtigkeit des Loslassens. Vom ewigen Wandel. Von der Kraft neuen Lebens, das der Vergänglichkeit folgt. Vom großen “Ja”, vom Werden. Von unbändiger Lebensenergie und Lebensfreude spricht er. Vom großen, ewig währenden Versprechen selbst und vom Zauber, der allem Anfang inne wohnt. Es kommt mir beinahe so vor, als ob er mich belächeln würde …..

….. da taucht ein alter, moosüberzogener Baumstamm vor mir auf, erinnert an den Bären selbst …..

….. erzählt von Erdverbundenheit, Stärke, Präsenz und Vertrauen. Aber auch von vermeintlichen Gegensätzen. Von Kampf und von Fürsorglichkeit. Das Bild einer kraft- und liebevollen Bärenmutter taucht vor meinem inneren Auge auf. Zutiefst verbunden mit ihren Kindern, jederzeit bereit für sie zu kämpfen, falls notwendig.

Eine alte Erinnerung in mir erwacht. Eine Erinnerung an meinen Bären. An meinen Bären, der mich in meiner Kindheit begleitet hat. Der mir Kamerad, Freund, und wenn nötig, Trost war. Der mit mir getanzt, gespielt, gelacht und geweint hat. Der zaubern konnte. Der in der Lage war, Raum und Zeit aufzuheben. Denn im Spiel mit meinem Bären wurden Sekunden zu Minuten, Minuten zu Stunden, Stunden zu Tagen ….. 

….. mein Bär, den meine Mutter Fantasie nannte.
Mein Bär, der niemals mehr wiedergekommen ist, nachdem sie mir eines Tages sagte, dass ich nun zu alt für solche Fantastereien wäre …..

….. und wieder spüre ich Wehmut im Herzen, durchmischt mit einem Hauch von Sehnsucht …..

….. Bärlauch – Bärenkraft – Erinnerung – Erdverbundenheit – Kampf – Fürsorglichkeit – Trost – Spiel – Tanz – Fantasie – Lebensfreude – Stärke – Präsenz – Vertrauen – Wandel – Loslassen – neues Leben – Zauber …..

….. versunken pflücke ich weiter und schaue plötzlich auf einen Baum. Ein Wesen zeigt sich mir. Seltsam, schon so oft war ich hier, aber ich habe es noch nie gesehen. Ein weiches Kleid aus Moos hat es sich angelegt und schmiegt sich behaglich an die Rinde des Baumes. Es strahlt etwas aus, das ich nicht in der Lage bin, mit Worten zu beschreiben.

Zu nahe kommen darf ich ihm nicht, noch nicht, nicht jetzt …..

….. wir schauen uns an. Bärlauchdeva kommt mir in den Sinn. Dann denke ich: “Hm, zu viel Fantasie. Damals wie heute ….. “

….. in diesem Moment tauche ich auf. Der Gesang der Vögel erfüllt den Wald und irgendwo in der Ferne höre ich das Klopfen eines Spechtes …..
….. ich schaue auf, blicke direkt hinein in das Lachen eines faxenmachenden, efeubekleideten Baumes …..

….. genug gesammelt. Der Ort hat gegeben, was zu geben war.
Ich hinterlasse meinen Dank und meinen Segen und begebe mich auf den Heimweg.
Die Buschwindröschen sind mittlerweile hellwach und strahlen mich an ….. 

….. eine wahrhaft kraftvolle und heilsame Suppe wird es geben ….. 

© Copyright 11.04.2018 Martina Petermann
Categories: Nature

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